Sonntag, 25. März 2018

PARANOIAC (1963)















HAUS DES GRAUENS

Großbritannien 1963
Regie: Freddy Francis
DarstellerInnen: Janette Scott, Oliver Reed, Sheila Burrell, Maurice Denham, Alexander Davion, Sydney Bromley u.a.


Inhalt:
Familie Ashby hat schon mehr als einen Schicksalsschlag hinter sich. Simon und Eleanor sind zwar mittlerweile erwachsen, aber immer noch eng verbunden mit ihrer Tante Harriet, die sich nach dem Unfalltod der Eltern um die Waisenkinder gekümmert hat. Simons und Eleanors Bruder Tony nahm sich als 13 Jähriger das Leben. Seine Leiche wurde nie gefunden, nur ein Abschiedsbrief. Eleanor, die seitdem zunehmend dem Wahnsinn verfällt, ist auf die Pflege einer Krankenschwester angewiesen und lebt im Haushalt ihrer Tante Harriet. Trinker Simon wartet auf die Auszahlung seines Erbanteils. Als eines Tages wie aus dem Nichts ein Mann auftaucht, der sich als Tony ausgibt, gerät die Welt der Ashbys zunehmend ins Wanken... 



Simon (Reed) ist schockiert


Eleanor (Scott) schmachtet ihren Bruder Tony an


Seitdem ich die informative und zugleich berührende Oliver Reed Biographie What fresh lunacy is this? gelesen habe, versuche ich meine Bildungslücken bezüglich seiner Filmographie nach und nach aufzufüllen. Der Autor führt zahlreiche Beispiele für die herausragenden schauspielerischen Leistungen Ollies, wie er von Fans und Freunden liebevoll genannt wird, an.
"Haus des Grauens" wird dort zwar erwähnt, allerdings in erster Linie wegen Reeds offenbar unerwiderter Liebe zur Hauptdarstellerin Scott, die sich zu einer regelrechten Obsession entwickelte, die für die junge Schauspielerin beängstigend und sogar bedrohlich wirkte.


Doch worum geht es in diesem Psycho-Thriller aus dem Jahr 1963?
Da hätten wir ein paar reiche Erben aus gutem Hause, die durch den Tod der Eltern und den Suizid des Bruders augenscheinlich traumatisiert sind und grundverschieden auf das Auftauchen des vermeintlich verstorbenen Tony reagieren. Eleanor, die bis dahin depressiv und sogar akut suizidal war, wirkt glücklich und gelöst. Simon dagegen gibt sich zunehmend rabiater und gereizter. Nur Tante Harriet ist unverändert seltsam bis bösartig. Irgendetwas Eigenartiges geht im Hause Ashby vor und die beklemmende Stimmung steigert sich von Szene zu Szene.


PsychologInnen würden in Anbetracht der Ashbys wahrscheinlich von einer klassischen dysfunktionalen Familienstruktur mit typischen Merkmalen wie beispielsweise emotionalem Missbrauch, geringer Kommunikationsfähigkeit, Grenzüberschreitungen und starkem Machtgefälle sprechen. Dies ist relativ offensichtlich.
Natürlich erkennt man auch ganz ohne psychologische Vorbildung, dass die Familienkonstellation der Ashbys schlichtweg ungesund ist. Doch die Hintergründe bzw. die wahren seelischen und moralischen Abgründe bleiben lange im Dunkeln.


Wer verbirgt sich hinter der Maske?
Fragen über Fragen


Zunächst steht das muntere Entwirren roter Heringe, das ich manchmal auch gerne als "Scooby-Doo-Ratespiel" bezeichne, im Vordergrund der Geschichte.
Ist Tony wirklich der tot geglaubte Bruder oder ein Hochstapler? Spukt es im Haus? Wer singt des Nächtens so unheimlich zu den Orgelklängen in der Hauskapelle? Wer ist hier eigentlich am Verrücktesten? Warum verhalten sich alle bis auf die wundersam geheilte überglückliche Eleanor so paranoid?
Fragen über Fragen, doch nach Außen muss und soll der Schein der Familie Ashby unbedingt gewahrt bleiben. Der gute Ruf der Familie steht über Allem.

Die britische Schauspielerin Janette Scott zeigt ein facettenreiches und authentisches Schauspiel in der Rolle der vom Schicksal gebeutelten Eleanor. Die attraktive Darstellerin verkörpert mit ihrer teils unschuldig-naiv wirkenden Rolle das Gegengewicht zur finsteren und verbitterten Tante Harriet (ebenfalls großartig gespielt von Sheila Burrell).

Die beiden Damen und der restliche Cast werden allerdings etwas überschattet von der Naturgewalt Oliver Reed. Wie immer balanciert er knapp an der Grenze zum Over-Acting, liefert dabei aber eine höchst unterhaltsame Performance.
In manchen Szenen erwartet man regelrecht, dass er sich jeden Moment das Hemd vom Leib reißt und sich wie in "Der Fluch von Siniestro" in einen blutgierigen Werwolf verwandelt.
Seine Auftritte sind Drama pur. Seine Mimik, auch wenn er gerade nicht im Focus der Kamera ist, spricht stets Bände, seine verbalen Ausraster (herrlich in O-Ton) lassen einem beinahe das Blut in den Adern gefrieren.
Und selbst wenn er äußerlich ruhig bleibt, umgibt ihn die Aura eines Soziopathen ohne jegliche Fähigkeit zur Empathie.

Die Schwarz Weiß Fotografie des Kameramanns Arthur Grand, der zahlreiche Hammer-Filme, u.a. "Der Fluch von Siniestro", "Sie sind verdammt" oder "Nächte des Grauens" ästhetisch veredelte, hat auch "Haus des Grauens" mit seiner beeindruckenden Bildsprache geprägt.
Mithilfe von Blenden wurde eine Vignettierung (eine schwarze Randabschattung) über einzelne Bilder gelegt. Dies verstärkt die Stimmung des Films und deutet auf die immer eingeschränktere Wahrnehmung sowie den Tunnelblick des immer aggressiver werdenden Simon, hin.

Dieser Film, der natürlich in der Tradition von Hitchcocks "Psycho" steht, ist in Anbetracht seines Entstehungsjahrs geradezu als verwegen zu bezeichnen. Nicht nur wegen der inzestuösen Andeutungen, sondern auch wegen der darin vorkommenden Gewalt, den kunstvoll umgesetzten Effekten und der maskenbildnerischen Kunst in den letzten Szenen.
Im Vergleich zu dem thematisch verwandten, doch wesentlich biederer und sperriger wirkenden italienischen Thriller "Das dritte Auge", der drei Jahre später gedreht wurde, lässt Freddy Francis in Anbetracht des Jahres 1963 regelrecht die Regie-Sau raus. 

Wer übrigens - so wie ich - rätselt, warum ihm der bärtige Säufer, der von Simon in einem Pub mit Champagner abgefüllt wird, so bekannt vorkommt, der hat vielleicht - so wie ich - "Die unendliche Geschichte" oder American Werewolf schon mehr als ein Mal gesehen.
Es handelt sich nämlich um Sydney Bromley, der als markant aussehender Nebendarsteller mit Vollbart beispielsweise auch in "Tanz der Vampire" oder "Frankensteins Höllenmonster" mitgewirkt hat.

Dieser Schwarz Weiß Thriller der britischen Hammer Studios muss sich meiner Meinung nach vor keinem der Giallo-Klassiker aus Bella Italia verstecken und ist für alle empfehlenswert, die mit besagtem Genre etwas anfangen können.





Foto: Blu Ray von Anolis