Sonntag, 16. Oktober 2016

SPECIAL: 10 JAHRE ITALOCINEMA - DAS JUBILÄUMSFESTIVAL IM KOMMKINO












FREITAG

Angekommen auf der Stadtautobahn öffnete ich ein Fenster und erschnüffelte doch tatsächlich... Lebkuchenduft! Klingt nach (schlechtem) Klischee, ist aber tatsächlich so passiert. Nürnberg im Herbst wirkt überhaupt sehr einladend und zeigte sich auch in den darauffolgenden Tagen von seiner besten Seite. Wir kamen relativ früh an, um die Stadt mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und abseits der bisher üblichen Pfade (Hotel-KommKino und retour) zu erkunden.


Die Stadt sieht mit blauem Himmel...


... und auch bewölkt schön aus


Noch bevor ich zu meinem Filmtagebuch komme, möchte ich vorwegschicken:
Das Italocinema Festival wurde nicht nur in Bezug auf die Film-Zusammenstellung liebevoll gestaltet. Angefangen vom Programmheft über das Design der Dauerkarten, die stimmige Pausen-Musik (von ganz raren Sachen bis zu Altbekanntem war alles vertreten, was das italienische Kino an OSTs so hergibt) bis hin zu den ausgehängten Filmplakaten und der Deko haben sich Organisator Andreas Rick und sein Team sehr ins Zeug gelegt, um allen BesucherInnen ein schönes Wochenende zu bescheren.
Trailershows aus dem Italocinema Archiv rundeten das Rahmenprogramm schön ab.
Zahlreiche Preise, die von Labels wie Camera Obscura, Colosseo, X-Rated und Pidax dankenswerterweise gespendet wurden, fanden in Berühmtheiten wie Laura Gemser, Klaus Kinski und Co. neue BesitzerInnen (statt Zahlen konnte man sich für die Verlosung Namen aussuchen).
Für alle Dauerkarten InhaberInnen, die kein Glück hatten, gab es zum Trost eines dieser schönen Malastrana Plakate.


Willkommen im KommKino


KLAPPE DIE ERSTE...

ALIEN - DIE SAAT DES GRAUENS KEHRT ZURÜCK














Dieser relativ sinnfreie Film mit zum Teil wahnwitzigen Dialogen hat mir bei der jetzigen Kino-Sichtung zum ersten Mal so richtig Freude bereitet. Die Kopie war gut und die Szenen, die mir früher immer eher langatmig vorgekommen sind, wirkten aufgrund der tollen Kino-Atmosphäre dieses Mal viel besser.
Was mir jedes Mal Kopfzerbrechen bereitet, ist, wenn die Hauptdarsteller auf der Steinformation, die "Kamel" genannt wird, herumturnen wie Kinder auf einer Rutschbahn.
Denn (zumindest heute) ist in der Grotte di Castellana (siehe ein paar Fotos unter Drehort-Special) absolutes Fotografierverbot und anfassen darf man natürlich auch nichts. In "Alien - Die Saat des Grauens kehrt zurück" trampeln Michele Soavi und Co. wie die berühmten Elefanten im Porzellanladen durch die Tropfsteinhöhle, greifen unnötigerweise alles an oder rempeln mit Wucht gegen die schönen Stalaktiten. Entweder wurde es anno 1980 noch lockerer gehandhabt oder man hat für den Film eine Ausnahme gemacht.
Jedenfalls war dieser Alien-Verschnitt ein vergnüglicher Festival-Opener, der von häufigem Gelächter begleitet wurde und den Festival-Enthusiasmus zu Beginn schon vergrößerte.

LAURA - EINE FRAU GEHT DURCH DIE HÖLLE














Diese "Women in prison Filme" haben ja eine eingeschworene kleine Fangemeinde. Ich wusste schon immer, dass ich nicht dazu gehöre. Daher war ich kaum überrascht von der gepflegten Langeweile, die der Film verströmt. Wenn er etwas skurriler oder sleaziger gewesen wäre, hätte er zumindest beim Unterhaltungswert punkten können. Doch für mein Empfinden handelte es sich bei "Laura..." um eine unglückliche Mischung zwischen Schmier und Angepasstheit. Für mich hat von Allem ein bisschen gefehlt, was dem Film Wiedererkennungswert verleihen hätte können. Bis auf die Ratten-Szene gab es zu wenig Gore, bis auf ein paar Erotikeinlagen zu wenig Nacktheit. Die Dramatik des Drehbuchs wurde von der unfreiwilligen Komik im Keim erstickt. Oder verhält es sich genau umgekehrt? Wer weiß das schon.
Etwas überraschend fand ich, dass alle, mit denen ich danach geredet habe, wenig Begeisterung für das Gesehene ausdrückten. Also entweder habe ich die falschen Personen gefragt oder es wollte sich niemand als Franca Stoppi Fan outen. Vielleicht ist es aber tatsächlich so, dass dieser Film zu den eher schlechter bewerteten Exemplaren dieses Genres gehört. Es wurde ab und an geraunt, dass der zweite Teil viiiiel besser sein soll...


SAMSTAG


Zum Langschläferfrühstück gab es Burger, Pommes und Bier, was uns nicht nur einen sehr vollen Magen, sondern auch neidvolle Beschimpfungen einbrachte. War natürlich auch etwas fies, Fotos davon an Leute zu verschicken, die sich gerade mit ordinären Frühstücksbrötchen zufrieden geben mussten...


Schmeckte genau so gut wie er aussah


DIE HEISSEN ENGEL














Dieser Film war für mich und einige andere, mit denen ich mich unterhalten habe, die Überraschung des Festivals. Ich habe mir nicht viel erwartet, fühlte mich aber bestens unterhalten. Und das, obwohl in diesem Film nicht wirklich etwas passiert.
Wir begleiten schlicht und einfach diesen beiden umwerfend attraktiven Frauen, die ein hedonistisches Leben führen, bei einer Tour durch Mailand. Sie tanzen, haben Sex, versuchen einen gestohlenen Ring zu verkaufen, finden sich dabei plötzlich auf einer Transvestiten Party wieder und landen schließlich bei extrem reichen Menschen, die gewohnt sind, sich alles zu kaufen (auch Freunde und Sex).
Der Film lässt sich in keine Genre Schublade stecken. Wenn ich in mich gehe und mir die Frage stelle, was ihn für mich zu etwas Besonderem macht, lautet die Antwort: Für mich ist es die pure Lebenslust, die Freude am Sein und die Unbekümmertheit, die "Die heißen Engel" so beschwingt-unterhaltlich wirken lässt. Die beiden attraktiven Darstellerinnen laden das Publikum regelrecht dazu ein, sich von ihrer Energie anstecken zu lassen.
Definitiv ein schöner Start in den Samstag.

HEROIN














"Ein Poliziottesco aus der dritten Reihe" wurde ich vor dem Film dahingehend erinnert, meine Erwartungen ja nicht zu hoch anzusetzen.
Dennoch war "Heroin" besonders kurzweilig und bescherte uns vergnügliche Unterhaltung. Das Drehbuch ist schon mal wirklich originell:
Der nach langjährigem Gefängnis-Aufenthalt frisch entlassene böse Bube Pino (besonders glaubwürdig: Milchbubi Marc Porel), der sich um einen redlichen Lebenswandel bemüht, geht zu einer Prostituierten, in die er sich verliebt und stellt hinterher fest, dass es seine Cousine ist, die er zuletzt als Kind gesehen hatte.
Trotz ihrer offensichtlichen Gegenwehr und Ablehnung will er sie aus dem Bordell holen und nutzt dazu seine alten Kontakte, u.a. zum Zuhälter Gazzosa, der ihn wiederum dem Oberbösewicht Don Ciccio vorstellt. Durch diese besonderen Verstrickungen und Umstände gerät Pino wieder auf Abwege. Dabei wird er von einem windigen Kommissar (George Hilton mit lustigem Schnauzer) beschattet...
Neben der skurrilen Story sorgte die deutsche Synchro für nachhaltiges Amusement.
Besonders zwei Beispiele blieben Vielen in (guter) Erinnerung.
Einmal eine Szene, in der ein Betrunkener weggejagt wird und zu hören bekommt: "Ich polier dir gleich die Fresse." Darauf antwortet dieser: "Nein, nicht polieren!"
Noch witziger wird es dann, als der Herr Papa rausfindet, dass seine Tochter eine Prostituierte ist und sich einer Schimpftirade hingibt, die unter anderem die Formulierung "Ich verdamme sie!" enthält. Seine brave zweite Tochter kniet gerade auf dem Boden, verrenkt sich theatralisch in Papas Richtung und schreit: "Nein Papa, nicht verdammen!" Womit sie alles gesagt hat.
Diese denkwürdigen Sätze sorgten den restlichen Samstag und auch noch am Sonntag für Gelächter, sobald sie wieder von jemandem zitiert wurden. Das kann man schwer beschreiben, das muss man erlebt haben.
Vermutlich gehört "Heroin" zu einem dieser Filme, die nur mit der deutschen Syncho so richtig gut funktionieren.
Und selbstverständlich muss an dieser Stelle noch Al Cliver (Woodoo - Die Schreckensinsel der Zombies) erwähnt werden. Er spielt den persönlichen Assistenten Don Ciccios.
Der Mann war einfach eine Wucht. Er war der Einzige, dem ich seine Rolle wirklich abgenommen habe und bestach durch seine aalglatte schmierige Optik... Einfach super.

Jetzt haben wir trotz ausgiebigem Frühstück wieder Appetit und gehen mit einer großen Gruppe von Festival BesucherInnen passenderweise in ein italienisches Restaurant, in dem Andi einen Tisch für alle reserviert hat.
Nach gutem Essen und netten Gesprächen geht sich dank exzellenter Zeitplanung sogar noch ein kleiner Verdauungspaziergang aus...


Nürnberg bei Nacht


ASPHALT KANNIBALEN














Wie erwartet rockten der irre Charles Bukowski (Giovanni Lombardo Radice), Norman Hopper (John Saxon) und ein weiterer gefräßiger Vietnam Veteran den Kinosaal. "Asphalt Kannibalen" war immer schon einer meiner Lieblingsfilme und konnte auf großer Leinwand noch erheblich dazu gewinnen. Endlich durfte ich diesen Film in annehmbarer Qualität erleben. Eine Wucht!

LUSTHAUS TEUFLISCHER BEGIERDEN














Vor diesem Film wurde ein Trailer angekündigt, der logischerweise auch gezeigt wurde und dann passierte etwas Seltsames. Ich saß circa eine Viertelstunde da, betrachtete "Lusthaus teuflischer Begierden" und kam dann auf die Idee meinen Sitznachbarn zu fragen, wie lange dieser Trailer eigentlich noch geht.
Erst als ich diese Frage laut ausgesprochen hatte, dämmerte mir, dass dies womöglich schon der Film ist. Was mir dann auch prompt mit einem mitleidigen Lächeln bestätigt wurde.
Um ehrlich zu sein: Polselli mag ein (verkanntes) Regie-Genie sein und bestimmt gibt es auch haufenweise Menschen, die mehr sehen als ich in dieser Handlung zu erkennen vermag, aber: er hat mich unendlich gelangweilt und nach einer weiteren zähen Viertelstunde habe ich mich entschieden, ein bisschen versäumten Schlaf nachzuholen...


SONNTAG


Zum Frühstück mampften wir Brötchen und tranken zum letzten Mal unser regionales Lieblingsbier, bevor wir uns auf den Weg zum Kino machten.


Ja, es ist das Zirndorfer Landbier :)


VENUS IM PELZ














Bereits Velvet Underground besangen in "Venus in Furs" Severins Hang zum Masochismus. Näher hatte ich mich allerdings mit dem Roman aus der Feder des berühmten Österreichers Sacher-Masoch nie auseinandergesetzt. Umso spannender empfand ich dann den Verlauf dieser Erzählung rund um ein Paar, das sich findet, bindet und schließlich in einer Schein-Welt und Rollenspielen verliert.
Die Folge daraus ist (zumindest bei Severin scheint es der Fall zu sein) auch der Verlust des Zugangs zur Realität.
Dies ist kein Spoiler, da der Film damit beginnt, dass Severin Patient in einer Nervenklinik ist und seinem Psychiater von seiner Neigung berichtet.
Severins (Vor-)Geschichte wird dann mithilfe von Rückblenden demonstriert.
Dieser Film ist nicht nur Dallamano-typisch (ansprechend) inszeniert, sondern faszinierte mich besonders durch die der Handlung zugrunde liegenden psychologische Phänomenologie und die philosophischen Fragen, die er aufwirft. Manche deutlich, manche nur angedeutet oder völlig subtil.
Severins Neigung zum Voyeurismus entwickelt sich Richtung Masochismus, also die Verknüpfung von sexueller Lust und Schmerz. Dies wird durch eine offenbar unglückliche Konditionierung in seiner Kindheit erklärt.
In Wanda findet er eine Partnerin, die sich seinen sexuellen Bedürfnissen völlig anpasst. Irgendwann verschwimmen dann alle Grenzen und es ist weder für Severin noch für das Publikum des Films noch deutbar, ob Wanda ihre Rolle einfach extrem ausreizt oder ob sie ihren frisch Angetrauten tatsächlich loswerden will.
Außerdem stellt sich die Frage, ob er Wanda wirklich liebt. Kennt er sie überhaupt? Weiß er, wer sie ist oder begehrt er nur die Rollen, die sie für ihn einnimmt? Wie kann er ihre Persönlichkeit erkennen, wenn er von ihr verlangt, dass sie ihm permanent etwas vorspielt? Und kann sein "Beziehungskonzept" auf Dauer funktionieren? Warum wird er zunehmend eifersüchtig, wenn er Wanda beim Liebesspiel mit anderen Männern beobachtet?
"Venus im Pelz" bietet viel Raum für Interpretationen und gibt keine Wertung oder Moral des Gesehenen vor, an der man sich orientieren könnte.
Zum Ende möchte ich meinen filmischen Seelenverwandten Chris Ade zitieren, der einst über diesen Film bzw. Massimo Dallamano schrieb: "Nicht zu derb, aber auch nicht zu verschämt huldigt er Sacher-Masochs devoten Phantasien konsequent bis zur Schlusssequenz und findet dabei genau die richtige Mischung aus Sleaze und nobler Eurotica."
Somit wäre das Wichtigste festgehalten.


Den wahrscheinlich bekanntesten Film aus dem Programm "MEIN NAME IST NOBODY" haben wir ausgelassen. Ich hege schon seit meiner Kindheit eine gewisse Aversion für diese Terence Hill Movies, was sich bis heute nicht beheben ließ.


Wehmütig verließen wir die Stadt und waren traurig, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist und wir viel zu wenig Gelegenheiten für Gespräche mit unseren FreundInnen und anderen (bekannten) Festivalbesuchern hatten.
Wir haben es nicht einmal geschafft, uns rechtzeitig vor dem letzten Film von allen zu verabschieden. Sorry dafür! Grüße an alle, die sich jetzt angesprochen fühlen.


Können sich sehen lassen: Dauerkarte und Programmheft


Mille mille grazie an Andi von Italocinema.de und die KommKino-Mitglieder, die dieses Festival möglich gemacht und tatkräftig unterstützt haben!

Das Beste zum Schluss:
Auf der Homepage von Italocinema wird bereits gespoilert... Nächstes Jahr soll es eine Wiederholung geben.
Alle diesmal Daheimgebliebenen, die italienische Genrefilme auf 35 mm in familiärer Atmosphäre zu schätzen wissen, sollten sich dieses Event unbedingt vormerken!
Ihr seid dieses Mal daheim geblieben?
In diesem Sinne warne ich euch: "Nein Italo-Fans, nicht daheim bleiben!"