Freitag, 22. April 2016

I CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE (1973)














TORSO
DIE SÄGE DES TEUFELS (Alternativtitel)

Italien 1973
Regie: Sergio Martino
DarstellerInnen: Suzy Kendall, Tina Aumont, Luc Merenda, John Richardson, Ernesto Colli, Angela Covello, Conchita Airoldi, Patrizia Adiutori, Carlo Alighiero u.a.


Inhalt:
Die Amerikanerin Jane studiert Kunstgeschichte an der Universität von Perugia. Sie versteht sich nicht nur besonders gut mit ihrem Professor Franz, sondern ist auch unter ihren KommillitonInnen beliebt.
Die junge Frau und ihre Freundinnen genießen das Leben und die Liebe bis eines Tages grausame Morde in ihrem Freundeskreis geschehen. Die Opfer des blutrünstigen Täters sind jung, weiblich und werden grausam zugerichtet.
Die Polizei nimmt umgehend Ermittlungen auf, kann jedoch bis auf ein auffälliges Halstuch keine Indizien entdecken, die auf die Spur des Mörders führen könnten.
Jane flüchtet mit drei Freundinnen in eine idyllisch gelegene Villa auf dem Land. Doch gerade an dem vermeintlichen Ort der Sicherheit geraten die Studentinnen in allergrößte Gefahr...


Patrizia Adiutori: Leider nur ein kurzer Auftritt


Unheimlich: Killer mit Maske und Messer


Beim Namen Sergio Martino klingeln vielen Giallo-Fans die Ohren und wenn man die Filme dieses Regisseurs vor seinem geistigen Auge Revue passieren lässt, wird so mancher Blick verträumt-schwärmerisch.
Der Killer von Wien, "Die Farben der Nacht", "Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave" sind ohne Frage beeindruckende cineastische Kunstwerke.
Der nachfolgende "Torso" kommt in diversen Rezensionen und Beurteilungen vergleichsweise eher schlecht weg.
Und das, obwohl er jegliche Elemente präsentiert, die einen Giallo ausmachen und die von Vielen immer vehement und lautstark eingefordert werden, sobald sie in einem Genrefilm einmal nicht vorkommen: Ausländerinnen, die in Italien in Gefahr geraten, ein maskierter Mörder mit Handschuhen und einschlägigem Motiv, die Drehbuch-typischen Whodunit-Spielchen, Hippies, dekadente Reiche und ein unverwechselbarer Soundtrack.

"Torso" ist nicht nur ein Film, der dem damaligen Zeitgeist entsprach, sondern in einigen Belangen seiner Zeit sogar weit voraus war. Denn erst Anfang der Achtziger Jahre wurden mit Michael Myers und Co. Killer, die bevorzugt weibliche Opfer mit lockerem Lebenswandel und offenem Umgang mit Sexualität töten, populär und Massenpublikum-tauglich.

Suzy Kendall mimt in "Torso" zur Abwechslung mal eine Frau, von der ich nicht genervt bin. Im Gegenteil. Jane, die "Quasi-Heldin" ist intelligent, selbstbewusst und zielstrebig. Sie weiß, was sie will und lässt sich von Niemandem so leicht etwas vormachen. Sie widerspricht ihrem Kunstprofessor energisch und legt ihm ihre eigenen Theorien dar.
Sie schenkt ihrer Freundin, die einen guten Bekannten verdächtigt, der Killer zu sein, keinen Glauben und sucht den Freund persönlich auf, um ihn zur Rede zur stellen. Außerdem verfällt Jane nicht wie die Scream-Queen Julia (ebenfalls verkörpert von Kendall) in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe in einen Zustand hysterischer Kopflosigkeit, sondern beweist Mut und Einfallsreichtum, als sie realisiert, dass sie mit dem wahnsinnigen Täter in einem Haus eingesperrt ist.

Allgemein fällt auf, dass Männer in diesem Werk Martinos wieder einmal (man denke an die hinterhältigen Schurken und den sadistischen Mörder in Der Killer von Wien) gar nicht gut weg kommen.
Jane und ihre Freundinnen werden nicht nur von einem frauenhassenden Mörder beobachtet und attackiert, sondern quasi auf Schritt und Tritt von italienischen Machos beäugt und belästigt.
Ob Motorrad-Rowdies, ein liebeskranker Verehrer, ein Spanner vor der Villa oder die Männer aus dem Dorf – fast alle scheinen die Freizügigkeit der Protagonistinnen nicht nur als Einladung sexueller Natur zu verstehen, sondern demonstrieren auch noch ein daraus resultierendes grobes und respektloses Verhalten gegenüber dem weiblichen Geschlecht.
Auch der Arzt Roberto (Martinos Stamm-Schauspieler Luc Merenda) wirkt bisweilen, als ob sein Interesse an den Studentinnen nicht nur professioneller Natur wäre.
Die Kamera agiert ebenso voyeuristisch wie die männlichen Darsteller. Manche Szenen sind sogar aus der Sicht des Mörders gefilmt. Dies alles bereitet Unbehagen.

Die Aufnahmen der Universitätsstadt Perugia und die Landschaftsaufnahmen der feudalen Villa inmitten einer malerischen Umgebung bilden einen starken Kontrast zum heruntergekommenen Gelände, das als Hippie-Treffpunkt gilt oder dem nebelverhangenen alptraumartigen Birkenwald, in den ein Mädchen auf seiner Flucht gerät und ein grausames Ende findet.
Kein Ort bietet Schutz für die Frauen.


Villa und...


... Wald - überall lauert die Gefahr


Während in den gemächlicheren Vorgänger-Gialli Martinos ein verträumt spielerisches, fast mystisch angehauchtes Wundern und Rätselraten die Tonart angibt, ist "Torso" von Beginn an überdeutlich und brutal, spannend inszeniert und immer nahe am Tabubruch.

"Torso" liefert schöne Beispiele dafür, wie man eine Spannungssteigerung durch die Wahl der Kameraperspektive bewirken kann. Man denke dabei unter anderem an die geniale Szene mit dem Schlüssel oder die im Wald lauernde gesichtslose Gefahr.
Was mich immer auf's Neue besonders fasziniert, ist eine der letzten Szenen des Films, in der ein Kampf zwischen Killer und Retter stattfindet.
Man sieht, dass einer der beiden tödlich verunglückt, weiß aber nicht, wer nun als Überlebender zum Opfer zurückkommt. Eine Frau steht mit vor Terror geweiteten Augen da. Die Panik ist deutlich auf ihrem Gesicht abzulesen. Von dem auf sie zu gehenden Mann sind im grellen Gegenlicht schemenhafte Umrisse erkennbar. Wir sehen durch die Augen der verängstigten Frau.
Die Kamera schwenkt auf ihr Gesicht. Und genau daran muss man als ZuschauerIn nun ablesen, wer von den beiden Männern sich gerade in ihre Richtung bewegt.
Ein meiner Meinung nach genialer Regie-Kniff.

Der Soundtrack stammt aus der Feder der kreativen Brüder De Angelis und ist so vielseitig und abwechslungsreich, dass man ihn getrost für zwei Filme verwenden hätte können.
Von extrem treibenden und dramatischen Melodien über verspielte Wohlfühl-Songs bis hin zu unheimlichem, an Zombiefilme erinnerndes Wehklagen deckt der Soundtrack eine enorme Bandbreite ab.

Für mich gibt es bei "Torso" nur zwei kleine Wermutstropfen:
Leider fällt die attraktive Darstellerin Patrizia Adiutori, von der ich gerne viel mehr gesehen hätte, gleich in den ersten Minuten dem Mörder zum Opfer. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man ihr die Rolle der Jane statt der etwas hölzernen Suzy Kendall geben sollen.
Das zweite Manko ist meiner Meinung nach der deutsche Synchronsprecher Luc Merendas.
Sein Organ tönt, als hätte man in einem wahnwitzigen Experiment einem Menschen die Stimmbänder eines Frosches implantiert. Richtig unangenehm und überhaupt nicht passend zu Merendas männlich-kantigem Erscheinungsbild. Zum Glück hat er nicht viele Dialogzeilen.

"Torso" ist durch die überspitzte Inszenierung etwas radikaler und morbider als andere Gialli aus dieser Ära, steckt aber gleichzeitig voller stilistischer Feinheiten und verzückt durch bemerkenswert ästhetische Aufnahmen. Mir bereitet es bei jedem Ansehen ein Vergnügen, neue interessante Aspekte dieses richtungsweisenden Werkes aus dem Jahr 1973 zu entdecken.


Meine Urlaubsfotos vom Drehort Perugia und Vergleiche mit Screenshots findet ihr hier




Foto: X-Rated Hartbox, Blue Underground BD, Edition Tonfilm und X-Rated Mediabook




Foto: OST auf Vinyl